Gut sozialisiert? Nö, gut traumatisiert!

23. März 2021 RP Comments Off

Ehre, wem Ehre gebührt: Die Idee für diesen Artikel habe ich aus dem gleich betitelten Blog-Eintrag von Andre Yeu, dem Besitzer der Hundeschule „When Hounds Fly“ in Toronto.

Genau so wie Andre wird es mir immer wieder mal schwindlig, wenn ich beobachte, was bei sogenanntem freien Hundespiel so alles passiert und was für psychische Langzeitschäden da gerade gesetzt werden, während die Besitzer das Ganze nichtsahnend lächelnd beobachten und sich in dem guten Gefühl sonnen, dass sie ihrem Hund in Bezug auf seine Sozialisation gerade was richtig Gutes tun.

Sozialisierung oder lieber Traumatisierung?

Von allen Seiten – auch von uns – wird dem frischgebackenen Hundebesitzer empfohlen, den Kontakt seines Hundes zu anderen Hunden zu fördern, um eine möglichst gute Sozialisation zu erreichen. Nicht zuletzt zu diesem Zweck werden auch gern die Welpengärten der Hundeschulen besucht oder man geht gezielt auf den ortsüblichen „Hundestrichen“ spazieren. Eine gute Sozialisation ist auch nie wirklich abgeschlossen. Man kann sich also nicht auf im Welpenalter erworbenen Lorbeeren ausruhen, sondern sollte dem Hund immer wieder Gelegenheit zur Interaktion mit Artgenossen geben.

Nur, wie das im realen Leben oft verläuft, ist das leider grundverkehrt und führt bei einzelnen Hunden zu so gravierenden Traumatisierungen, dass die Besitzer damit dann lebenslang zu kämpfen haben, und zwar ohne auch nur zu ahnen, dass sie sich (und natürlich ihrem Hund) diese Suppe so richtig selbst eingebrockt haben.

„Die machen das schon unter sich aus“

Das zentrale Missverständnis ist ein Satz, den ich gar nicht mehr hören kann, ohne dass mir der Kamm schwillt: „Die machen das schon unter sich aus!“. Falsch, falsch und nochmals falsch!!! Wenn wir Hunde „das unter sich ausmachen“ lassen, dann vernachlässigen wir unsere Verpflichtungen gegenüber unserem eigenen Hund, unserem Schutzbefohlenen, auf sträflichste Art und Weise. Es ist ein Bruch der Vereinbarung, die wir mit unserem Hund haben: Er gibt uns buchstäblich alles, was er hat und was er ist. Er will uns immer gefallen und beobachtet uns so genau wie kein anderes Tier, um zu erfahren, was er dafür tun muss. Er legt sein ganzes Leben in unsere Hände, scheinbar bedingungslos, was aber nicht stimmt. Er erwartet dafür von uns in erster Linie Führung, Schutz und Sicherheit.

Es kann also absolut nicht angehen, dass wir über alles (Ernährung, Schlafplatz, Ausscheidungsverhalten, körperliche Bewegung, etc.) im Leben unseres Hundes bestimmen, uns aber in genau dem Moment raushalten, in dem unser Hund unsere Intervention am dringendsten benötigen würde; denn dadurch kann es sehr gut sein, dass wir ihn mit in den Schoß gelegten Händen entweder zum lebenslangen Opfer oder zum notorischen Täter formen.

Nehmen Sie sich bitte die sechs Minuten Zeit, dieses Video aus Sue Sternbergs Red Alert Behavior Series anzusehen, damit Sie verstehen, um was es mir geht.

Wir sehen in diesem Video sowohl Opfer als auch Täter, beide durch ihre Besitzer zu dem gemacht, was sie sind. Die kleine braune Hündin wird fast durchgehend von anderen Hunden gemobbt, und zwar ziemlich übel. Sie versucht über längere Zeiträume verzweifelt, von ihrer Besitzerin Hilfe zu bekommen, während diese völlig ignorant auf ihrer Bank sitzt und wahrscheinlich der festen Überzeugung ist, dass sie gerade ihrer Hündin positive Sozialkontakte ermöglichen würde.

In der zweiten Hälfte des Videos sehen wir etwas, was auf Hundewiesen sehr häufig zu beobachten ist, aber in der Regel nicht als Problem erkannt wird: Es kommt zu einer kurzen Konfrontation zwischen dem weiß-schwarzen Terrier und der Husky-Hündin, danach wird der Terrier mit sehr hoher Geschwindigkeit über den Platz gejagt. Auf den ersten Blick sieht das nach Wettrennen und völlig harmlos aus, in Wirklichkeit, also im Kontext der vorhergehenden Konfrontation, ist das ein gefährlicher Vorgang, weil die Husky-Hündin keineswegs spielerisch mit dem Terrier um die Wette rennt, sondern ihn im Sinne einer Jagdsequenz verfolgt. Die Sache hat die ganze Zeit das Potenzial für ein Ende mit Blut und Tränen.
Eine andere, im Video nicht gezeigte, aber immer wieder zu beobachtende und hochproblematische Angelegenheit ist das sogenannte Rolling (Umrempeln, Überrollen). Sieht von außen oft gar nicht so dramatisch aus, ist aber ein sehr aggressives Verhalten. Der Hund, der einen anderen überrollt, meint es ziemlich ernst. Und der, der überrollt wird, hat ohne Intervention seines Besitzers eventuell im weiteren Verlauf ganz schön schlechte Karten.

Alle der in dem Video agierenden Hunde hätten ein Anrecht darauf gehabt, dass ihre Besitzer ruckzuck einschreiten. Bei den Opfern, um die hochgradig verängstigende Situation unverzüglich zu beenden, damit es nicht zur weiteren Traumatisierung kommt, bei den Tätern, damit diese nicht immer noch weiter in ihrem (teilweise selbstbelohnenden) Verhalten bestätigt und letztendlich unerträgliche Rowdies werden. Ein solches Einschreiten kann sehr einfach sein, wie in dem Fall mit der kleinen braunen Hündin: Man geht zwischen die Hunde und nimmt seinen eigenen, also den ängstlichen Hund, kurzerhand aus dem Getümmel raus. Es kann sich aber auch als sehr problematisch darstellen: Eine High-Speed-Verfolgungsjagd wie zwischen dem Husky und dem Terrier ist so gut wie gar nicht zu unterbrechen. In diesem Fall wäre entschlossenes Eingreifen zu einem früheren Zeitpunkt notwendig gewesen. Dafür bräuchte es aber die hochkonzentrierte Aufmerksamkeit der Besitzer(innen) aller beteiligten Hunde. Die freie Interaktion mehrerer Hunde ist absolut nicht der richtige Zeitpunkt, um sich die Landschaft anzusehen oder auf seinem Smartphone rumzudaddeln.
Noch besser wären einige der in dem Video auftretenden Hunde – speziell natürlich die kleine braune Hündin – erst gar nicht auf diesen Hundespielplatz gebracht worden. Lieber kein Sozialkontakt als so ein Käse! Wenn man böse wäre, könnte man wetten, dass die Besitzerin später zu Hause die Internet-Foren durchackert, um sich Tipps für die Behandlung ihres armen Angsthundes geben zu lassen, den sie selber produziert hat und den sie immer noch ängstlicher macht.

Es ist die Aufgabe des Besitzers die Zeichen richtig zu deuten

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch ein Hund muss nicht in Watte gepackt werden. Er darf – besser sogar: sollte! – in freier Interaktion mit Artgenossen auch mal frustriert, gestresst oder in gewissen Grenzen angegangen/zurechtgewiesen werden. Aber nur so weit, wie seine individuellen Bewältigungs-Strategien ausreichen. Die Hündin im Video ist völlig überfordert und weiß sich absolut nicht mehr zu helfen. Es ist unsere Aufgabe als Besitzer, die Zeichen richtig zu deuten und punktgenau zu erkennen, wann es für unseren Hund einfach zu viel wird. Das ist rasseabhängig und auch individuell höchst unterschiedlich, weshalb es dafür keine allgemeingültigen Ratschläge geben kann. Wenn Sie sich aufgrund mangelnder Erfahrung unsicher fühlen, ob Sie korrekt erkennen können, ab wann Ihr Hund mit einer Situation nicht mehr alleine klar kommt, müssen Sie sich von einer Fachfrau oder einem Fachmann helfen lassen. Die tun das gerne!

Achten Sie auf eine gute Hundeschule bzw. Welpenschule

Womit wir bei den Hundeschulen wären. Nach meiner Erfahrung sind die Zeiten (und die gab es durchaus!) von „Die regeln das schon untereinander“ lange vorbei. Viele Trainerinnen und Trainer sind wirklich sehr aufmerksam und intervenieren bei Bedarf sofort. Trotzdem kann man immer noch manchmal beobachten, dass in Welpengarten-Stunden alle Besitzer(innen) um die Trainerin oder den Trainer herumstehen und aufmerksam zuhören, während – völlig unbemerkt – ein Welpe gnadenlos in die Ecke gemobbt wird. Bleiben Sie aufmerksam! Sowas darf speziell in dieser supersensiblen Phase im Leben Ihres Hundes einfach nicht passieren und wäre ein sehr guter Grund, die Hundeschule zu wechseln.

Andersrum wird aber auch ein Schuh draus: Viele frischgebackene Hundebesitzer(innen) sind (so ganz im Innersten) ein wenig stolz, wenn sich ihr Welpe in seiner Gruppe als besonders durchsetzungsstark erweist. Man sieht keinen Grund zum Eingreifen; gibt einem ja irgendwie ein gutes Gefühl – aber in der Regel halt nur bis zur Geschlechtsreife. Dann hat man plötzlich einen unerträglichen Rüpel an der Backe und wundert sich. Eine gute Trainerin, ein guter Trainer wird Ihnen auch das frühzeitig begreiflich zu machen versuchen.
Achten Sie darauf, dass bei Welpenstunden keine Interaktionen mit halbwüchsigen Hunden zugelassen werden. Für robuste Welpen mancher Rassegruppen mag es kein großes Problem sein, wenn sie mal schnell von einem Halbstarken ein wenig rumgerollt oder überrannt werden, bei anderen wird aber schon zu diesem frühen Zeitpunkt der Keim für lebenslange Aversionen gelegt. Eine korrekte Welpengruppe besteht aus maximal sechs Tieren halbwegs gleichen Alters und von halbwegs ausgeglichener Körpergröße. Ein acht Wochen alter Chihuahua kann nicht einfach mit 16wöchigen Welpen von Großrassen oder mit mehreren rabiaten Terriern in die selbe Gruppe geworfen werden.

Es ist mir natürlich bewusst, dass auch Hundeschulen wirtschaftlich arbeiten müssen, und dass es durch die zahlreichen Konkurrenz-Betriebe oft nicht einfach ist, rentable Welpenkurse nach diesen Maßgaben zusammen zu stellen, aber das kann andererseits nicht Ihre Sorge als Welpenbesitzer sein, denn Sie allein müssen es ausbaden, wenn schon so früh etwas entscheidend schief geht, weil alters-, rasse- oder größenbedingte Unterschiede nicht berücksichtigt wurden.

Halten Sie sich nicht raus!

Also: Halten Sie sich NICHT raus! Greifen Sie ein, und zwar sowohl, wenn Ihr Hund das Opfer ist, als auch, wenn er sich zum Täter entwickelt. Ihr Hund schaut zu Ihnen auf und vertraut Ihnen in allen Dingen. Dieses Vertrauen können Sie grausam und nachhaltig enttäuschen, wenn Sie nicht dazu bereit sind, Ihren Hund vor jeglichen Schäden zu schützen, auch und gerade durch Artgenossen. Die meisten Besitzer(innen) würden hochgradig aggressiv reagieren, wenn ein Fremder nach ihrem Hund treten oder schlagen würde. Das ist okay, aber es macht dann eben auch keinen Sinn, locker daneben zu stehen, während der selbe Hund gerade von einem Artgenossen untergepflügt wird. Und sollte es Ihr Hund sein, der sich gerade im Unterpflügen eines anderen übt, dann wischen Sie mal schnell das stolze Grinsen aus dem Gesicht und gehen Sie dazwischen.

Bis bald, Ihr Ralph Rückert

Quelle: Ralph Rückert

Diesem Thema widmen wir uns u.a. in unserem Seminar „Körpersprache & Kommunikation“ am 25.09.2016

 

Das Problem vom „Nein“ sagen in der Hundeerziehung

 Die Theorie klingt einfach: Erfolg hat, wer konsequent bleibt.

Doch wenn der beste Freund seinen Charme spielen lässt, geraten gute Vorsätze oft in den Hintergrund. Über das schwierigste Kapitel in der Hundeerziehung: das angemessene Grenzensetzen.

Konsequent sein oder nachgeben?

Wenn der beste Freund seine Grenzen testet, fällt es manchmal schwer, standhaft zu bleiben…

„Dass falsche oder unerwünschte Verhaltensweisen keine Konsequenzen nach sich ziehen, ist ein im gesamten Tierreich unbekanntes Phänomen. Dort wird sanktioniert, zunächst freundlich, aber auch sehr eindeutig, wenn es sein muss“, weiß der Hundetrainer Michael Grewe. Im Menschenreich ist das häufig anders. Zwar geht es auch hier in Sachen Hundeerziehung im Wesentlichen um zwei Verhaltensmuster: „Ich will das nicht, also lass es sein“ und „Damit bin ich einverstanden, das machst du gut“. Aber eben nur theoretisch.

Allzu oft macht unser Gefühl gegenüber Hunden dem konsequenten Handeln einen Strich durch die Rechnung. Das schiefe Köpfchen, der treue Blick, das leise Fiepen machen es nicht leicht, ein gesundes Gleichgewicht zwischen dem Ja und dem Nein zu finden. Schließlich wollen wir unserem treuen Freund ebenfalls ein treuer Freund sein, der Gutes gibt und über manche Unzulänglichkeit gelassen hinwegsieht. Das Problem ist nur: Es gelingt nicht immer. Denn Bello kommt nicht zuverlässig zurück, wenn wir ihn rufen. Er lungert am Tisch nach Futter, er zieht an der Leine und springt, wenn auch nur aus Freude, fremde Menschen an. Das wiederum bringt uns in Rage und schürt innerlich den Wunsch, auch einmal Nein zu sagen. Fragt sich, wie?

„Die meisten Schwierigkeiten und Konflikte entstehen, weil der Mensch nicht in der Lage ist, Nein zu sagen, obwohl er es möchte. Er kann sich nicht abgrenzen, sich nicht deutlich genug ausdrücken“, behauptet der dänische Familientherapeut Jesper Juul. An dem, was einfach klingt, scheiden sich die Geister. Selbst in der Literatur findet man wenig Eindeutiges. Es gibt zwar zahlreiche Leitfäden über erzieherischen Hundesport wie Dogdance, Flyball oder Obedience, aber kaum einer verrät, wie man sich dem Hund gegenüber durchsetzt, wenn er das, was ihm beigebracht wurde, nicht ausführen will, trotz Einsatz von Leckerlis, Streicheleinheiten und anderen Verführungsstrategien. Oder sind gerade diese das Problem? Was vielfach fehlt, ist die klare Ansage, das Nein in der Hundeerziehung. Die Folge: Viele Halter resignieren, weil es ihnen nicht gelingt, unerwünschtes Verhalten abzustellen, und sie immer seltener Konflikte mit dem Hund gewinnen. Letztlich tolerieren sie nach vielen vergeblichen Erziehungsversuchen, dass der Hund mehr oder weniger macht, was er will, und passen sich ihm an.

Fehlende Grenzen schaden der Beziehung

„Keine Grenzen zu setzen zerstört eine Beziehung genauso wie unvernünftiges Strafen, weil der Hund dann die Menschen nicht respektiert und sich nicht um ihre Wünsche kümmert“, sagt Edith Blechschmidt, Ausbilderin von Rettungs- und Behindertenbegleithunden. Ihrer Meinung nach ist „ein Grenzensetzen fair. Denn ich erlebe oft Menschen, die von den unerwünschten Verhaltensweisen ihrer Hunde total genervt sind, aber nicht konsequent Grenzen setzen, nach dem Motto: Ich kann doch nicht immer … Wenn ich aber ständig merke, der andere ist von mir genervt, ich aber gar nicht genau weiß, warum, belastet auch das die Beziehung. Fairer wäre es, meinem Gegenüber mal zu sagen: Du, das hier nervt total, lass das doch! Am Ende schränken wir Hunde, mit denen wir Probleme haben, auf Flexileinenfreiheit ein, nur weil wir nicht in der Lage sind, unseren Teil der Erziehungsarbeit zu leisten.“

„Vom Klaps bis zum Schreck in unterschiedlichen Intensitäten ist beim Nein alles drin“, weiß Trainer und Canis-Chef Michael Grewe. Er schließt Strenge unbedingt in gesunde Hundeerziehung ein. „Das ist mit Frustrationsübungen doch genauso. Der Hund lernt es jetzt auszuhalten, damit er in Zukunft damit kein Problem hat. Sicher, es sieht anfangs hart aus, dem jammernden Welpen einmal nicht seinen Wunsch zu erfüllen, jetzt gleich mit anderen Hunden zu spielen, sondern ihm abzuverlangen, stattdessen ruhig bei uns zu bleiben. Härter ist es aber, den ausgewachsenen Hund nicht mehr mitnehmen zu können, weil er ununterbrochen jammert, wenn er nicht sofort das bekommt, was er will. Da ist das Nettsein am Ende gar nicht so nett.“

Auch der amerikanische Psychologieprofessor Stanley Coren mahnt in seinem Buch „Wie Hunde denken und fühlen“ zur richtigen Dosis und dem richtigen Zeitpunkt der Korrektur: „Viele Menschen beginnen mit einer leichten Bestrafung, einem kleinen Stoß, und steigern die Intensität, wenn der Hund nicht entsprechend reagiert. Dabei ist problematisch, dass Hunde mit der Zeit eine gewisse Widerstandskraft gegen körperliche Bestrafungen entwickeln. Ist der Hund nicht gerade wehleidig, bleiben leichte Strafen wirkungslos. Ist die Strafe dagegen zu hart oder wird der Hund häufig geschlagen, bekommt er Angst und reagiert mit Verstecken oder duckt sich und versucht, den Kontakt mit der Bezugsperson zu vermeiden“ – was die denkbar schlechteste Voraussetzung darstellt, dem Hund etwas beizubringen.

Coren beschreibt ein Experiment, bei dem Hunde sofort zurechtgewiesen wurden, sobald sie ihre Schnauze in einen verbotenen Futternapf steckten. Eine Vergleichsgruppe ließ man erst fünf Sekunden, eine weitere zehn Sekunden lang fressen, bevor sie mit einem Hieb bestraft wurden. Als die Hunde später mit dem verbotenen Futter allein im Raum blieben, brauchte die erste Gruppe, die sofort bestraft worden war, zwei Wochen, ehe sie sich traute, das verbotene Futter zu fressen, Hunde der zweiten Gruppe warteten acht Tage, die der dritten Gruppe dagegen nur drei Minuten.

Grenzen setzen, Freiraum bieten

„Erziehung ist kein romantisches Projekt, an dem sich die Hundehalter den ganzen Tag glücklich spiegeln können. Grenzen setzen und Freiraum bieten gehören immer zum intakten Zusammenleben mit Hund dazu“, sagt der Trainer Michael Grewe.

Wäre der Wald vergiftet, würde kein Hund jagen. Mit diesem Bild verdeutlicht der Hofer Mantrailing-Experte Armin Schweda seinen Schülern gern, dass sich weniger über Methoden, sondern mit der richtigen inneren Einstellung selbst die anspruchsvollsten Ziele erreichen lassen. Wäre der Wald vergiftet, würde man nämlich erstens sofort, zweitens nachdrücklich und drittens immer reagieren, sobald der Hund nur eine Pfote breit vom Weg abkommt. In diesem Moment übernehmen wir die Führung, handeln authentisch und unverkrampft. Würden wir in banaleren Situationen entsprechend schnell, intensiv und konsequent reagieren, gäbe es wohl keine Probleme mit zuverlässigem Gehorsam.

„Im häuslichen Bereich setzen die meisten Leute das auch um, zumindest bei dem, was ihnen wichtig ist“, erklärt Armin Schweda. „Wer einen jungen Hund hat und nicht möchte, dass er sich an den Möbeln zu schaffen macht, wird kaum versuchen, ihn stundenlang mit dem Kommando Platz in die Mitte des Zimmers zu legen“, so der Experte. „Wir erwarten in so einer Situation, dass der Hund sich entsprechend verhält. Tut er es nicht, machen wir ihm sofort unmissverständlich klar, was wir davon halten. Das funktioniert draußen genauso.“

Mögliche Wege, nein zu sagen

Vorbeugen und vorausschauend handeln

Antizipation ist das beste Mittel, um jegliches Strafen zu verhindern. „Ich kann natürlich abwarten, bis mein Kind auf die heiße Herdplatte fasst, und dann sagen: Siehst du, das passiert. Ich könnte aber auch Barrieren bauen oder vorm Berühren einen Warnschrei loslassen. Genau diese Einstellung brauchen wir bei Hunden“, meint Trainerin Claudia Wagner. Ein Hundeleben hat viele heiße Herdplatten, die oft lebensbedrohlich sind, und der Hund kann sie nur einmal ausprobieren. So spricht nichts dagegen, ihn anzuleinen, wenn man sich beim Spaziergang unterhalten möchte. Hat der Hund noch nicht gelernt, auf seinem Platz zu warten, wenn Besucher klingeln, kann man ihn anbinden oder die Zimmertür schließen. Es ist nur fair, einen Hund, der noch nicht ausgebildet ist, davor zu bewahren, Fehler zu machen, statt ihn dauernd zu bestrafen.

Fazit: Wer umsichtig denkt und handelt, präsent ist und Verantwortung übernimmt, wird zum Leader, dem Hunde gern folgen. Je mehr das gelingt, desto überflüssiger werden Strafen.

Das A und O: die Konsequenz

Jeder Halter wünscht sich einen Hund, der an lockerer Leine läuft. Wer Strafen missbilligt und lieber jedes Mal stehenbleibt, bis die Leine locker ist, braucht Geduld. Ist man konsequent genug, kommt man auch ohne Strafen ans Ziel. Manche Hundehalter überfordern sich aber mit dem Anspruch, keine Fehler zu machen und den Hund nie zu bestrafen. Wer seine eigenen Bedürfnisse verleugnet, fühlt sich rasch genervt, sagt halbherzig Ja und wirkt dadurch ambivalent. Wer nicht eindeutig sagt, was ihm missfällt, wird leicht zum Opfer, womit niemandem gedient ist. Wer nachts des Öfteren aufwacht, weil ihn der Hund im Bett stört, sollte ihn wegschicken!

Fazit: Je klarer und selbstsicherer sie Ihre eigenen Wünsche artikulieren, desto besser lernt Ihr Hund Sie kennen und weiß, was Sie gutheißen und was Sie ablehnen. Hunde kennen kein Vielleicht. Je deutlicher wir uns ihnen gegenüber ausdrücken, desto leichter können sie das richtige tun.

Die körperliche Begrenzung

Nicht jedes körperlich vermittelte Nein ist schmerzhaft. Den Hund mal zur Seite zu schubsen, vom Mauseloch wegzudrängen oder ruhig festzuhalten, um ihn zu begrenzen, tut nicht weh, zeigt aber auch Wirkung. Ob man dadurch den Hund von stark trieblich motivierten Handlungen wie dem Jagen abhalten kann, hängt oft mit der inneren Einstellung des Menschen zusammen.

Fazit: Je entschlossener der Mensch ist, sich durchzusetzen, um so weniger hart muss er eingreifen. Mentale Stärke wiegt körperliches Einschreiten auf. Gelingt diese Entschlossenheit nicht, hilft nur vorausschauendes Handeln oder zum Beispiel Anleinen.

Sanft erziehen

Statt den Hund zu maßregeln, wenn er in der Leine hängt und zu einem Artgenossen will, wartet Trainerin Claudia Wagner lieber so lang, bis der Hund sich kurz nach hinten orientiert, und sei es nur zufällig und ohne weitere Absicht. In dem Moment, in dem sich die Leine lockert, lässt sie den Hund los. Wagner räumt ein, dass es ein langer Lernprozess ist, bis der Hund auf diese Weise begriffen hat sich zurückzunehmen und erst nachzufragen, ob er gehen darf.

Fazit: Es ist wünschenswert und möglich, auf Strafen zu verzichten, unter Umständen aber langwierig, weil der Alltag Überraschungen bereithält, die nicht auf dem Lehrplan stehen.

Der Schreckreiz

Ein situationsbezogenes „Hey!“, wie es Clarissa von Reinhardt empfiehlt, ein Händeklatschen, ein plötzlicher Richtungswechsel oder unerwartetes Verhalten des Hundeführers können dabei helfen, dass anschließend positive Lernimpulse gesetzt werden können.

Fazit: Arbeitet man mit Schreckreiz, will der schnelle Wechsel gelernt sein. Reagiert der Hund auf ein „Hey“ oder Händeklatschen, folgt prompt ein freundliches „Komm her“ oder „Schau mich an“, das belohnt werden kann.“

Eine Auszeit geben

Viele Trainer sehen im sozialen Isolieren eine Alternative zur körperlichen Strafe. Um soziale Übergriffe wie raues Spiel, Knabbern, Springen oder Betteln abzustellen, wird der Hund für eine Zeit in einem anderen Raum allein gelassen. Diese Form der Strafe erinnert an den Kohlenkeller, in den früher unartige Kinder kamen. Sie fügt dem Hund keinen körperlichen Schmerz zu, entzieht ihm aber etwas Angenehmes, nämlich die Nähe seines Menschen, und damit die Möglichkeit, Zuneigung zu erfahren und sozial zu interagieren. Diese Vorgehensweise ist umstritten, zumindest wenn die Auszeit länger als ein paar Minuten dauert: „Für ein soziales Lebewesen wie den Hund ist das eine knallharte Strafe“, so der Verhaltensforscher Günther Bloch, der diese Art des Neins eher ablehnt.

Fazit: Die kurze Auszeit bewahrt vor impulsiven Handlungen und Fehlern, die nicht rückgängig zu machen sind. Aber es ist fraglich, ob Hunde hier Ursache und Wirkung miteinander verknüpfen können: Kaniden maßregeln sich gegenseitig nicht durch soziales Isolieren. Einschränkung von Bewegung wie ihn auf seinen Platz schicken und dort Fixieren ist kanidentypisch.

Den Hund links liegen lassen

Hier wird mit Nichtbeachtung bestraft, man blickt und läuft quasi durch ihn hindurch. Die Theorie dahinter besagt, dass Hunde nur das tun, was für sie lohnend ist. Wird ein Verhalten nicht durch Aufmerksamkeit bestärkt, lässt er es irgendwann. Das funktioniert jedoch nur eingeschränkt, denn gerade viele unerwünschte Verhaltensweisen sind selbstbelohnend: Es macht einfach Spaß, Postboten zu vertreiben, nach Mäusen zu buddeln und alles zu jagen, was flieht. Wird hund dann ignoriert, kann er sich ungestört austoben.

Fazit: Beim Ignorieren muss man unterscheiden: Ist das Verhalten des Hundes selbstbelohnend, wirkt diese Erziehungsmethode nicht. Außerdem sollte man sie nicht anwenden, wenn Fremde betroffen sind und angesprungen oder gestellt werden. Lästiges Betteln lässt sich mit Konsequenz aber abstellen.

 Ohne Grenzen geht es nicht

… auch wenn der Begriff unpopulär ist. Dabei können Grenzen so behütend sein, es kommt immer darauf an, von welchem Standpunkt aus man schaut. Eine gute Strategie ist, so früh wie möglich vorausschauend und fürsorglich zu handeln, um Fehler zu verhindern und folglich Strafen weitgehend zu vermeiden. Das kann je nach Situation aktiv sein, durch ein eindeutiges „Ich will das nicht!“, oder passiv zum Beispiel durch rechtzeitiges Anleinen. Zugegeben, das gelingt nicht immer. Es gibt diese Tage, an denen wir langsam sind, an denen wir nicht aufpassen oder eine Situation falsch einschätzen und der Hund rauft, jagt, klaut oder etwas zerstört. Manchmal ist es sinnvoll, sein Fehlverhalten dann zu ignorieren, bisweilen ist es wirkungsvoller, als ihn zu bestrafen. Ob man es deswegen tut, ist eine andere Frage. Falls man sich dafür entscheidet, dann sollte man es richtig tun, nämlich unmittelbar und mit der nötigen Intensität. Denn wenn der Wald vergiftet wäre …

Text: Astrid Nestler

Quelle: DOGS MAGAZIN